Die nächste Krise im Ausland
Es hätte so schön sein können. Just in dem Moment als sich die Corona-Pandemie langsam dem Ende zuneigt, die CDC von einer Endemie spricht und selbst die Super Blue States nach und nach ihre Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie lockern, kommt mit der russischen Invasion in der Ukraine die nächste Krise auf uns zu.
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich mich damals gefühlt habe, als die WHO die die Corona-Epidemie zu einer Pandemie erklärt hat und nach und nach alle Flughäfen, Arbeitsplätze und Schulen dicht gemacht haben. Wir hatten zwar keine Ahnung, was auf uns zukommen würde, aber definitiv fühlten wir uns von einem Tag auf den anderen ziemlich mittellos und vor allem allein.
Es beginn damit, dass einige anstehenden Reisen gestrichen wurden. Singapur war ja schon von Anfang an sehr skeptisch und über-vorsichtig, was das “neuartige Coronavirus” anging. So wurden zum Beispiel unsere Flüge auf die Philippinen Ende März gestrichen, die eine Freundin und ich gemeinsam gebucht hatten. Und auch ihr Rückflug von Singapur nach Deutschland wurde immer wieder verschoben oder storniert, sodass sie letztendlich sogar Schwierigkeiten hatte, zurück in die Heimat zu kommen. Die Grenzen waren dicht und nur wenige Fluggesellschaften überhaupt noch in der Luft. Stattdessen gab es von den Bundesregierungen angeordnete und bezahlte Staatsflieger, die gestrandeten Touristen von überall auf der Welt abholten. Für uns eine völlig neuartige Situation die mitunter auch unsere Perspektive im Ausland komplett auf den Kopf stellte. Aber wer hätte im Jahr 2019 denn an sowas gedacht, zumal unsere Welt doch so extrem global und vernetzt war, dass man sich einen Zusammenbruch der Verbindungen niemals hätte vorstellen können. Und doch kam genau das.
Dennoch gingen wir – zumindest am Anfang – stark davon aus, dass sich diese akute Phase in “einigen Monaten” von selbst regeln würde. Oder zumindest wirtschaftliche Interessen über denen der Weltgesundheit stünden. Das könnte ja nicht sein, dass Singapur, als DAS internationale Drehkreuz länger als nötig seine Flugzeuge grounden würde. Wie falsch wir lagen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich einen Tag Ende April 2020 einen Deutschen in Singapur telefonieren hörte. Er sagte: “Unsere Flüge im Mai sind schon gestrichen worden. Wollen wir mal hoffen, dass Weihnachten klappt…” und ich noch dachte, das wäre ja wohl sehr pessimistisch… Als dann aber tatsächlich nach und nach klar wurde, dass wir weder im Juni, noch an Weihnachten nach Deutschland kommen würden, wurde das Gefühl “im Ausland festzustecken” immer wahrhaftiger.
Im Endeffekt ist – zumindest für uns – alles gut ausgegangen. Wir konnten Singapur zwar nie so genießen, wie wir es gehofft und geplant hatten, aber zumindest wurden wir während unserer Zeit dort weder krank, noch haben wir irgendetwas – oder noch schlimmer – irgendwen, verloren. Als wir letztendlich den lang ersehnten Flug aus Singapur antreten konnten, bedeutete dieser auch das Ende unserer Zeit in Südostasien. Und wir waren voller Hoffnung, dass in Amerika alles besser werden würde.
Jetzt, zwei Jahre später, wieder zu Beginn des Jahres und wieder einige Monate nach unserer Ankunft steht die nächste Krise an. Genau wie damals haben sich die ersten Besucher angekündigt und wir hatten eigentlich viele Pläne und schöne Dinge vor. Die CDC hat Anfang März erst die Corona-Maßnahmen fast gänzlich beendet und selbst im super liberalen San Francisco gehen wir schon seit einigen Wochen ohne Masken durchs Leben. Genau in dem Moment, wo wir quasi endlich “aufatmen” und mal zur Ruhe kommen können, kommt der Supergau: Russlands Invasion in die Ukraine. Die nächste Krise. Und wieder ist das Epizentrum in Europa. Und wir sehen fassungslos, hilflos, und verständnislos von weit weg zu und fühlen uns mehr exkludiert denn je.
Aber, das kommt wohl alles mit der Entscheidung ins Ausland zu ziehen. Es wird nicht leider, denn was wir an Erfahrung dazu gewinnen, separiert uns automatisch von unserer Heimat.
Deshalb ist es zu solchen Zeiten auch ganz schön schwer (oder erschreckend erleichternd) mit seiner Entscheidung zu leben. Dennoch sind es solche Momente, wo mir so richtig bewusst wird, dass ich nicht mal eben nach Hause fahren und meine Mama in den Arm nehmen kann. Und dass uns hier so ein stabiles Netz an Zusammenhalt, Freunden und vor allem Familie natürlich gänzlich fehlt und wir komplett auf uns allein gestellt sind. Diese Vorstellung ist schon echt gruselig. Aber das gehört wohl dazu, wenn man sich dazu entscheidet, sein Heimatland, seine Base, zu verlassen.
Eigentlich hatte ich nur ein kurzer Kommentar zu der aktuellen Krise geplant und wollte allenfalls verkünden, dass ich einige Tage offline bin – so wie ich es auch auf Instagram getan habe. Mich macht es extrem wütend, wie so manch einer einfach weiterlebt, als wäre nichts geschehen, oder aber gar polarisierende Hashtags für Engagement und Reichweite (aus)nutzt. Ich würde mich auch gerne deshalb zurückhalten, weil mir einmal mehr bewusst wird, wie privilegiert ich eigentlich bin.
Dennoch ist daraus jetzt so ein langer Text geworden, weil mich das Thema einfach so schwer beschäftigt und ich hoffe, dass ich denjenigen, die meine persönlichen Erfahrungsberichte und Kommentare lesen, etwas weitergeben kann. Zum Leben im Ausland und zu den Gedanken, die uns hier so begleiten.
Fakt ist: Es ist nicht immer leicht, auch wenn es den Anschein haben mag. Ziemlich oft ist es ganz schön hart. Vor allem dann, wenn sein Heimatland gefühlt von einer Krise in die nächste rutscht.
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