Flycations – im Ernst jetzt?
immer häufiger lese ich von “Flycations” – dem neusten branchentrend während covid-19. Und gerade für stadtstaaten wie singapur, die keine inlandsflüge im portfolio haben, scheint diese art von flugangebot wie gerufen zu kommen, um die massiven verluste auszugleichen. aber in einer zeit, in der menschen sehnlichst darauf warten, ihre familien wiederzusehen, frage ich mich, inwieweit dieser trend den wünschen tatsächlich entgegen kommen kann.
Wir sitzen immer noch in Singapur fest und aktuell scheint es, als würden die strengen Grenzbestimmungen noch Monate so bleiben, wie sie sind. Der nächste Urlaub scheint in weiter Ferne und die Fluggesellschaften machen massive Verluste. Laut Lufthansas Vorstandsvorsitzendem Spohr liegt es vor allem an den asiatischen Ländern und ihren andauernden strengen Vorschriften, die die Erholung der Luftfahrtbranche verlangsamen. Generell scheint es so, als würde man hier auf einen Impfstoff oder ein wirksames Medikament gegen Covid-19 warten, bevor man größere Schritte in Richtung Öffnung gehen will. Eine düstere Aussicht für die Tourismus- und Luftfahrtindustrie, insbesondere für Stadtstaaten wie Singapur, die keine Inlandsflüge anbieten und vom internationalen Reiseverkehr abhängig sind. Und da kommen “Flüge nach Nirgendwo” ins Spiel.
Was ist ein “Flug ins nirgendwo”?
Im Endeffekt ist ein “Flug ins Nirgendwo” genau das, was das Wortspiel schon vermuten lässt: Ein Passagierflug, der ganz normal abhebt, eine Weile in der Luft verbleibt und die Gäste am Ende der “Reise” wieder am Startflughafen absetzt. Und obwohl es sich nicht um eine echte Reise im eigentlichen Sinne handelt, sind dafür trotzdem Check-In-Prozesse und Sicherheitseinweisungen der Crew zu durchlaufen. Nicht nur Richtigkeit wegen, sondern auch, um das Fluggefühl so authentisch wie möglich zu gestalten…
Ja, richtig gehört.
Entschuldigt bitte, aber ich kann mich hier kaum zurückhalten. Als ich das erste mal von den sogenannten “Flycations” gehört habe, dachte ich, wir hätten den 1. April. Aber leider scheint das nicht nur eine irre Idee zu sein, denn es gibt bereits Fluggesellschaften, die eben jene “Flüge ins Nirgendwo” anbieten. China Airlines waren die ersten, mit einem Flug in Taipeh, der aber immerhin nie wirklich abgehoben ist. Anders handhaben es die Taiwanesischen Fluggesellschaften EVA Air und Starlux Airlines, die zu Sightseeing-Reisen in der Region einladen. Und in Australien kann man sich gar einen Flug in die Antarktis buchen – Retour versteht sich, denn das Aussteigen ist während des 13-stündigen Flugs dennoch nicht erlaubt.
Wir alle vermissen das Fliegen, keine Frage. Ich ganz besonders, denn immerhin bin ich vor allem der guten Reisemöglichkeit wegen nach Singapur gekommen und sitze nun seit über sieben Monaten hier fest. Aber ich vermisse doch viel mehr das Reisen, die Entdeckungsmöglichkeiten und nicht zuletzt auch die Verbindung mit Menschen weltweit, einschließlich meiner Familie und Freunde in Deutschland. Ganz sicher ist es nicht das stundenlange Sitzen in einer Röhre, das immer-gleiche Board-Programm oder gar das schlechte Essen, das mir fehlt.
Auch hatte ich bisher den Eindruck, dass der Hauptgrund für die vielen Reiserestriktionen und den sinkenden Bedarf an internationalen Reisen vor allem vor allem an der Angst vor Ansteckung liegt, die Menschen aber auch Regierungen aller Welt haben. Denn das Virus möchte man als Souvenir auf keinen Fall mit nach Hause bringen, und vor im Urlaubsstrand stranden erst recht nicht. Obwohl sich inzwischen erwiesen haben sollte, dass die Chance einer Ansteckung im Flugzeug erstaunlich gering ist, kann ich trotzdem nicht verstehen, warum man den erhöhten Kontakt auf engstem Raum mit Flughafenpersonal, sowie Crew und anderen Gästen dann dennoch für eine “kleine Runde hoch über Singapur” eingehen würde? Ich glaube kaum, dass das vermeintliche Ansteckungspotenzial geringer ist, wenn Abflug- und Ankunftsort die gleichen sind.
Ganz zu schweigen von den dramatischen und unnötigen Auswirkungen auf die Umwelt, die so ein sinnloser Flug mit sich bringen. Denn im Ernst jetzt: Letztes Jahr haben Schüler noch regelmäßig Freitags den Unterricht geschwänzt um sich auf “Friday for Future” -Demonstrationen für möglichst umfassende, schnelle und effiziente Klimaschutz-Maßnahmen einzusetzen und kaum ein Jahr später wird tatsächlich über “Flüge ins Nirgendwo” gesprochen? Der wirtschaftliche Aspekt kann hier nicht der Motivationsgrund sein, denn Experten zur Folge haben derartige Flüge außer Werbung keine nennenswerten wirtschaftlichen Auswirkungen. Wozu das alles also?
Sollten wir nicht lieber alle gemeinsam daran arbeiten, Flugreisen aller Art (!) künftig noch sicherer und effizienter zu gestalten und Aufklärungsarbeit über die Luftqualität an Bord von Flugzeugen leisten? Mit einem Flug zu einem echten Reiseziel würde man obendrein auch noch die Wirtschaft des Reiseziels ankurbeln. Und man würde der Entglobalisierung entgegenwirken. Denn das ist es doch, was das Fliegen überhaupt erst so attraktiv macht: Die weltweite, physische Vernetzung der Menschen.
POST COMMENT