So wichtig ist der Look-and See-Trip
Nachdem die Entscheidung ins Ausland zu gehen bereits gefallen war und nun – anstelle von Amerika – Singapur als Ziel zur Debatte stand, wollten wir das Land gerne mit eigenen Augen sehen. Denn bisher waren wir noch nie in Südostasien und hatten somit keine richtige Vorstellung von Land, Leuten, Klima, Politik und vielen anderen Dingen. Wir wussten also überhaupt nicht, was uns erwarten würde. Deshalb wurde von Daniels Firma aus ein Look-and-See Trip organisiert. Eine einwöchige Reise nach Singapur, bei der wir uns eine Meinung bilden konnten, ob wir es uns wirklich vorstellen könnten, in diesem Land zu leben. Ganz ehrlich: Mehr als ein Bauchgefühl bekommt man während so einer Reise zwar nicht, aber das reicht schon aus, um die Entscheidung final zu treffen, ob man sich für mehrere Jahre in dem Land sieht. Manch einer fliegt aber auch einfach blind los ins Abenteuer, ohne sich vorher ein Bild zu machen. Das wäre für uns aber nichts gewesen und wir können auch nur dringend empfehlen, einen Pre-Move-Visit bzw. Look-And-See Trip zu vereinbaren, sofern man mit seiner Firma ins Ausland geht.
Zu Beginn kennt man sich gar nicht aus, jeden Eindruck erfährt man zum ersten Mal. Das Gefühl ist entscheidend.
Man ist nicht im Urlaub
Während des Trips ist es wichtig, das Land mit den Augen eines Wohnorts zu betrachten. Denn es ist definitiv ein Unterschied, ob man ein Land oder eine Stadt im Rahmen eines Urlaubs bereist, oder eben mit dem Zweck, dort möglicherweise hinzuziehen. Während eines Urlaubs besucht man für gewöhnlich die schönen Ecken, die Touristenattraktionen und Sehenswürdigkeiten sowie die besten Restaurants. Man hat wohl auch mehr Budget zur Verfügung, lebt vielleicht etwas entspannter in den Tag hinein und interessiert sich weniger für gesellschaftliche Einrichtungen, wie das Arbeitsamt, die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, lebenswerte Stadtbezirke … Sicher kommt man auch während eines Urlaubs hier und dort mit der „Kultur“ in Kontakt, obwohl dies, seien wir mal ehrlich, häufig auch sehr begrenzt ist, manchmal handelt es sich bei sogenannten „Kulturellen Attraktionen“ sogar um gestellte Szenarien für Touristen. Wie oft redet man während eines Urlaubs tatsächlich mit Einwohnern, kommt gar mit ihnen in Berührung, insbesondere in zurückhaltenden Kulturen?
Fragen und Prioritäten
Gerade der soziale Aspekt war für uns aber besonders wichtig. Wir wollten wissen, wie man in Singapur soziale Kontakte knüpft oder gar Freundschaften schließt und wo sich Leute in unserem Alter aufhalten.
Gleichermaßen bedeutend waren die Wohnviertel. Wir haben uns gefragt, welche zu uns passen würden, gut angebunden wären, sowohl zur MRT (dem lokalen Transportsystem), als auch zu Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants. Wir wollten auch bestenfalls relativ zentral leben, um die Stadt bestmöglich nutzen und erleben zu können, so war zumindest unsere Idee. Dabei sind wir davon ausgegangen, wieder in einer Wohnung zu wohnen, aber theoretisch hätte es ja auch ein Haus sein können.
Wir hatten keine Vorstellung davon, wie die Wohnungen, respektive Häuser in Singapur aussehen, ganz zu schweige von den Kosten. Nicht weniger interessant war auch die Verteilung der Einwohner auf die Wohnviertel, denn in Singapur sind Expats von den „Locals“ durchaus getrennt lebend. Es gibt ganze Wohnkomplexe nur für Expats, die „Condos“, die in der Regel teurer, aber auch mit luxuriösen Facilitys ausgestattet sind. Auch der Sicherheitsaspekt spielte für uns eine große Rolle. Wir wussten nicht, welche Gegenden als sicher, oder weniger sicher zum Leben galten.
Nachdem wir gelernt haben, dass Singapur eine der teuersten Stadt der Welt zum Leben darstellt, mussten wir uns auch mit den Lebenshaltungskosten auseinandersetzen. Wir haben uns schnell gefragt, ob das angebotene Gehalt reicht, für die Wohnung, aber auch für den Einkauf von Lebensmitteln. Nicht zu verachten die Preise für „Freizeitgestaltung“: Treffen in Restaurants, Bars oder die Nutzung von Einrichtungen sollten bezahlbar sein.
Auch das Thema Verkehrsmittel war wichtig, denn es wurde schnell klar, dass wir in Singapur kein Auto haben würden. Also mussten wir auf Verkehrsmittel zurückgreifen, aber über Preise und Anbindung hatten wir im Vorfeld keine Ahnung.
Wir könnten noch viele weitere Fragen aufzählen, aber wir denken, ihr versteht schon: Es gab unzähliges zu klären und vor allem vor Ort zu erleben, weshalb der Pre-Move-Visit für uns von erheblicher Bedeutung war.
Unsere Erfahrung: Der Pre-Move-Visit
Für uns ging es im Juli 2019 im Rahmen einer fünftägigen Reise (Pre-Move-Visit) nach Singapur. Aufgrund der Zeitverschiebung und langen Flugzeit hatten wir aber effektiv nur vier ganze Tage vor Ort. 96 Stunden Zeit, um ein Gefühl zu bekommen und eine endgültige Entscheidung zu treffen …
Tag I
Aufgrund der Zeitverschiebung und des langen Fluges landeten wir an einem späten Sonntagnachmittag in Singapur. Zwar sind wir zur schnelleren, flexibleren Abwicklung nur mit Handgepäck geflogen, trotzdem dauerte es eine Zeit lang, bis wir uns am Flughafen zurechtgefunden hatten, ein sogenanntes „Grab“ (kostengünstige Privatfahrer in Singapur) gebucht hatten, und im Hotel ankamen. Dieses war mitten in der Stadt, nähe der City Hall und fußläufig zum Singapore River und dem Fort Canning Park gelegen.
Im Hotel angekommen, haben wir erstmal geduscht und uns frisch gemacht und uns dann im Anschluss mit einem Freund in der Nähe des Hotels in Boat Quay getroffen. Dieser lebt schon eine ganze Weile in Singapur und führte uns – am Singapore River entlang – bis zum berüchtigten Marina Bay Sands. Ein toller erster Eindruck, das imposante Hotel am Wasser im Sonnenuntergang zu sehen. Danach ging es für uns noch zu einem sehr lokalen Restaurant, das insbesondere für Verena äußerst gewöhnungsbedürftig, aber extrem lecker war. Trotzdem wuchs bereits an diesem Abend die erste Skepsis. Singapur war „asiatischer“ als wir erwartet hätten. Und auf einmal waren wir uns gar mehr so sicher, ob wir uns wirklich vorstellen könnten, in diesem Stadtstaat zu leben… Aber wir waren ja auch erst angekommen und hatten noch über 80 Stunden, um uns zu entscheiden. 😉
Tag II
Am ersten vollständigen Tag waren wir, wie soll es anders sein, ziemlich gejetlagged. Das Aufstehen fiel echt schwer. Als Erstes ging es zur Firma, der neuen Arbeitsstelle. Dort waren wir zu Mittag verabredet, allerdings war unser Appetit noch nicht in der neuen Zeitzone angekommen und die Gerüche im Hawker Center verdarben uns jeglichen Hunger. Im Anschluss bekamen eine kurze Führung durch das Gebäude, durften ein paar Kollegen kennenlernen und sprachen dann mit dem Vorgesetzten und der Personalabteilung. Im Endeffekt waren wir viel länger als geplant im Büro und kamen gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang im Zentrum an, wo wir eine kurze Zeit durch den Fort Canning Park schlenderten und dann im Chimes, das uns unser Freund empfohlen hatte, zu Abend aßen (oder fairerweise zum ersten Mal überhaupt, denn Frühstück geschweige denn Mittag hatte es vor lauter Jetleg und Aufregung nicht gegeben …) und den Tag und die ersten Eindrücke rekapitulieren.
Randnotiz: Daniels Büro ist nicht in einem modernen Gebäude mitten im CBD, sondern in einem Industriegebiet am Stadtrand. Es fährt nur eine U-Bahn-Linie dorthin. Denn Singapur hat zwar einen hochmodernen, besonders sauberen und effizienten Verkehrsverband, dieser ist aber ehrlicherweise noch nicht so gut ausgebaut, wie in anderen Großstädten dieser Welt. Da Daniel keinen langen Arbeitsweg haben wollte, waren somit die möglichen Wohngegenden schon von Beginn an stark eingeschränkt.
Tag III
Der nächste Tag startete für uns leider Mitten in der Nacht, als Verena von einer üblen Migräne-Attacke geweckt wurde und die Nacht zum Alptraum machte. Ungünstigerweise konnte man im Hotelzimmer kein Fenster aufmachen und so landeten wir, nach einigen furchtbaren Stunden, die wir euch hier ersparen wollen, morgens um 7 am Hotelpool und schauten etwas resigniert zu, wie die Sonne aufging.
Eigentlich stand an diesem Tag eine geführte Tour durch Singapur mit der Relocation Firma an. Die haben wir – zwar völlig übernächtigt und mit Schmerztabletten bewaffnet – auch durchgezogen, waren aber echt mit den Nerven am Ende. Zu viele Eindrücke, die eine so wichtige Lebensveränderung beeinflussen sollten, hatten schon jetzt ihre Spuren hinterlassen. Ziel der 6-stündigen Tour quer durch Singapur war es, uns neben den bekannten Vierteln im CBD (Marina Bay Sands) auch weitere typische Wohnviertel für Expats zu zeigen, wie etwa Bugis, Holland Village, Tanjong Pagar und Robertson Quay.
Jede Gegend wurde dabei auch mit Fokus auf die U-Bahnanbindung zur Arbeit, Einkaufsmöglichkeiten und Einrichtungen dargestellt und parallel Hintergründe zur Demografie aufgezeigt. Wir hatten mit unserem Guide Jessica total Glück, denn sie hat sich sehr gut auf uns eingestellt und ihre Planung flexibel anhand unserer Bedürfnisse angepasst. Als allererstes fuhren wir zum Beispiel direkt in ein Hawker Center mit angrenzendem Wet Market, aber alleine anhand unserer Gesichter (Daniel mag keinen Fischgeruch und Verena war einfach nur kotzübel) hat sie ihre Route danach komplett verändert und uns ganz andere Gegenden und Attraktionen gezeigt, als sie eigentlich auf dem Plan standen. Als Nächstes hat sie uns direkt eine Wohngegend gezeigt, von der sie überzeugt war, dass wir sie mögen würden. Und tatsächlich (Spoiler!), wir waren so angetan, für uns war sofort klar, dass diese Gegend unsere neue Nachbarschaft werden würden. Auch wenn wir leider nicht die Möglichkeit hatten, uns eine Wohnung von Innen anzusehen, hatten wir nach dem Tag ein deutlich besseres Gefühl und konnten uns einen Umzug nach Singapur nun deutlich besser vorstellen. Also, wenn ihr die Möglichkeit habt, so eine geführte Tour zu bekommen, dann nehmt sie unbedingt wahr und achtet auch darauf, dass euch das gezeigt wird, was euch interessiert.
Tag IV & V
In den verbleibenden letzten Tagen haben wir vorrangig unterschiedliche Gegenden in Singapur erkundet. So waren wir im Botanischen Garten spazieren, in verschiedenen Cafés frühstücken und oben auf dem Marina Bay Sands Hotel, wo wir es so richtig krachen gelassen haben. Das war schon ein Highlight, in 200 Meter Hohe zu essen und die Stadt von oben zu begutachten. Wir waren auch nochmal in der Gegend, die uns am Vortag am besten gefallen hat und stellen uns schon mal vor, wie es wäre, dort zu leben. Wo wäre der nächste Einkaufsmarkt, schöne Restaurants, Geschäfte, Cafés? Wir haben die Zeit auch genutzt, um in den typischen Lebensmittelläden wie FairPrice und Cold Storage „imaginär“ einzukaufen zu gehen. Wir hatten im Vorfeld eine Excel Liste vorbereitet mit Lebensmitteln, die wir in Berlin wöchentlich eingekauft haben und sind damit durch die Regale gelaufen und haben den Einkauf theoretisch kalkuliert … Da haben wir festgestellt, dass das Leben in Singapur echt richtig teuer ist: Unser Wochenendeinkauf war mehr als doppelt so teuer, wie in Berlin.
Am Abend des 4. Tages sind wir dann auch schon wieder zurück nach Berlin. Changi ist schon ein sehr moderner Flughafen, das muss man Singapur lassen. Ganz offen gesagt, sind wir mit gemischten Gefühlen aus Singapur abgereist. Es hat uns definitiv gefallen und es war für uns wichtig, die Stadt mit eigenen Augen zu erleben. Aber auch wenn viele unserer Fragen beantwortet wurden, so haben sich während des Pre-Move-Visits auch sehr viele neue Fragen und damit einhergehend auch Unsicherheiten breit gemacht, die es nun in Berlin zu klären galt.
Trotzdem: Wir können den Pre-Move-Visit jedem ans Herz legen, der überlegt ins Ausland zu ziehen. Insbesondere, wenn der Umzug über eine Firma vonstattengehen soll und ihr selbst noch nie in dem Land ward, ist der Besuch eigentlich unabdingbar. Bestenfalls sollte natürlich der Arbeitgeber den Trip übernehmen, vor allem, wenn der Umzug über ihn laufen soll. Aber selbst wenn nicht, solltet ihr es trotzdem machen und notfalls selbst bezahlen. Ihr werdet das nicht bereuen, versprochen. Solltet ihr aus freien Stücken und unabhängig von eurem Arbeitgeber in ein Land ziehen wollen, dann ist die Sache natürlich anders, dann wart ihr vermutlich schon in dem Land, in das ihr euch verliebt habt. Aber auch dann lohnt die Reise und die Begutachtung der neuen „Heimat“ aus einer anderen Perspektive: nämlich der, der neuen Heimat.
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