Das erste Wochenende in Freiheit

Phase 2 der stufenweise Beendigung des Singapurer Lockdowns begann pünktlich an einem Freitag, wodurch uns ein ganzes Wochenende in Freiheit bevorstand. Das wollten wir vor allem dazu nutzen, unsere Freunde wiederzusehen und in Restaurants und Cafés zu gehen. Beides hatten wir während des Circuit Breakers schmerzlich vermisst.

Freitag

Während Daniel morgens wie immer zur Arbeit fuhr (seine Arbeit gilt als systemrelevant, weshalb er – anders als viele andere – während des Lockdowns ins Büro fahren durfte und auch musste), gab es für mich gleich morgens erst einmal etwas, auf das ich während der langen Zeit zuhause sehnlichst gewartet habe: Eine richtig leckere Tasse Flat White.

Glücklicherweise ist mein Lieblingscafé nur einen Steinwurf entfernt, weshalb ich es nicht weit hatte und den Weg dorthin nutzen konnte, um das Verhalten der Nachbarschaft auszuchecken. In Singapur gilt zum Beispiel weiterhin eine streng kontrollierte Maskenpflicht außerhalb der “eigenen Residenz” und die Nichteinhaltung wird hoch bestraft. In Phase 2 darf man die Maske jedoch beim Essen und Trinken im Restaurant ablegen. Wir waren schon gespannt, wie sich das im Alltag bewähren würde und befürchteten schon, dass man die Maske zwischen jedem Bissen oder Schluck “ab- und anlegen” müsste.

Als ich im Café ankam, trug an den Tischen aber niemand einen Mundschutz. Die Masken lagen stattdessen auf den Tischen und wurden beim Betreten bzw. Verlassen des Cafés ab- bzw. aufgesetzt. Die Tische wiederum, stehen jetzt übrigens in einem großen Abstand voneinander und man darf daran auch maximal in einer Gruppe von fünf Personen sitzen. Ich nahm also an einem Tisch draußen Platz, bestellte ein Leitungswasser und eine Tasse Kaffee und nahm zum ersten Mal seit knapp drei Monaten an der frischen Luft die Maske ab – was für ein Gefühl!

Daniel kam gegen Mittag nach Hause und nach einem gemeinsamen Mittagessen, das wir zuhause gekocht haben, arbeiteten wir beide den Nachmittag über noch in der Wohnung. Das Wetter war richtig toll und so ging es für uns zum Feierabend noch auf einen Aperol Spritz in eine Bar nebenan (draußen versteht sich!), bevor wir ein Grab in Richtung Bugis nahmen. Dort waren wir mit unseren amerikanischen Freunden in der beliebten Haji Lane beim Mexikaner verabredet und wir konnten es kaum abwarten, die beiden endlich wiederzusehen. Ali und Matt waren auch die letzten Personen, die wir vorm Lockdown gesehen hatten (also mein letzter sozialer Kontakt). Und so schloss sich quasi der Kreis, als wir zuerst am ersten Tag nach dem Lockdown eben jene wiedersehen.

In der Haji Lane war es übrigens wider Erwarten leer, beinahe ausgestorben. Das ist total untypisch, normalerweise ist es in der beliebten Straße brechend voll. Die Singapurer waren wohl noch etwas zögerlich, außerdem konnten die Restaurants nur etwa die Hälfte der Tische besetzen, was das Publikum zusätzlich ausdünnte. Dadurch konnten wir aber an einem der wenigen Tische draußen sitzen ohne – wie sonst – von den drängelnden Passenten gestört zu werden, was sehr angenehm war. Für uns alle gab es leckeres mexikanisches Essen, Margaritas und Corona Bier (…).

Wir hätten damit zwar nicht gerechnet, aber um Punkt 22:30 Uhr wurden wir dazu aufgefordert zu gehen, denn aktuell ist es Restaurants nur erlaubt, bis 22:30 Essen und Getränke auszuschenken. Das war aber nicht weiter schlimm, denn wir hatten den gleichen Weg nach Hause. Und obwohl dieser recht lang ist, entschieden wir uns, gemeinsam durch die Straßen zu laufen und den Weg für schöne und lang ersehnte Gespräche zu nutzen.

Samstag

Am nächsten Morgen hatten Daniel und ich eigentlich eine Reservierung in einem Frühstücks-Café, die wir aber noch am Abend absagten. Irgendwie wollten wir das erste Wochenende dann doch langsam(er) und gemächlich starten. Außerdem war unser Kühlschrank noch ziemlich voll, weil wir gerade erst eine Redmart-Lieferung bekommen hatten. Phase 2 war ja relativ kurzfristig angekündigt worden und wir hatten eigentlich damit gerechnet, das Wochenende noch zu Hause zu verbringen. Dass die Entscheidung, die Reservierung abzusagen, genau die richtige war, erfuhren wir dann direkt beim Aufwachen am Samstagmorgen, der uns im strömenden Regen empfing.

Wir verbrachten den Vormittag also dort, wo wir schon die vorherigen Samstage verbracht hatten: Zuhause. Es gab aber leckere, selbstgemachte Pancakes. Gegen Nachmittag gingen wir in ein anderes Café um die Ecke, von dem wir in der Zeit im Lockdown extrem viel Positives gehört haben. Dort gab es dann für mich den zweiten guten Kaffee, für Daniel einen Brownie und für uns beide eine Waffel. Es war echt so richtig schön, mal wieder in einem Café sitzen zu können.

Danach machten wir uns fertig, denn am Samstagabend stand etwas ganz besonderes bevor: Wir hatten eine Reservierung im Art Restaurant in der National Gallery Singapore. Während der Zeit im Lockdown hatten wir immer wieder über “die erste Aktion in Freiheit” philosophiert. Nach den vielen Mahlzeiten zuhause bzw. To-Go hatten wir so richtig Lust, etwas “Dekadentes” zu machen. Und was wäre da passender, als ein Abendessen in einem Restaurant mit Sterneküche, mit Blick auf Singapurs Wahrzeichen?

Die Reservierung zum Dinner war um 19:00 Uhr, vorher ging es aber noch auf der Dachterrasse des Potato Heads für einen ersten Drink.

Leider fing es bald wieder an zu regnen und wir ahnten, dass unser Abendessen wohl leider drinnen stattfinden würde. Trotzdem konnte unsere Vorfreude nicht gebremst werden und wir bestellten ein Grab (In Phase 2 darf im Fahrraum niemand auf dem Beifahrersitz Platz nehmen) und fuhren Richtung Downtown.

In der National Gallery angekommen, gingen wir erst einmal wie routiniert durch die Wärmebild-Kamera und checkten uns mit der SafeEntry App ein. Auf dem Boden und in den Fahrstühlen sind überall Markierungen, die einen auf das Social Distancing hinweisen. Das Dinner fand – wegen des Regens – nicht im eigentlichen Restaurant statt, sondern in den Räumen eines Schwesternrestaurants, dem “Aura”. Dort bekamen wir einen Tisch direkt an den Panorama-Fenstern und hatten somit einen fantastischen Blick auf die Singapurer Skyline: Das Marina Bay Sands, die Oper und der CBD.

Das Drei-Gänge-Menü im Art, das wir reserviert hatten, sollte laut Website tatsächlich “nur” 78 SGD kosten (was für Singapurer Verhältnisse quasi spottbillig ist”). Davon wusste aber niemand mehr was, denn als wir eben jenes bestellen wollten, sagte der Kellner, das Menü sei noch nicht fertig und wir sollten stattdessen das Sechs-Gänge-Menü (für 168 SGD wohl bemerkt) nehmen. Kurzfristig waren wir ein wenig unschlüssig, was wir machen sollte, denn wir waren nicht nur herausgeputzt, sondern hatten uns ja auch auf das Essen im gehobenen Restaurant eingestellt und darauf gefreut. Aber wir wollten eigentlich ungern gleich 100 SGD pro Person mehr bezahlen, zumal das Restaurant ja eben mit genau diesem Preis geworben hatte. Nach einer kurzen Diskussion mit dem Kellner und einer Rücksprache mit dem Küchenchef Chef Beppe De Vito wurde uns dann aber doch das Drei-Gänge-Menü ermöglicht. Was ein Glück!

Das Essen war fantastisch. Hier eine Auswahl von dem, was im Art Restaurant serviert wird.

Khorasan Wheat Tagliolini, Black Truffle, Anchovy Colatura (Trüffel-Spagetti).

Free Range Duck, Young Carrots, Shallot and Amalfi Lemon

Die vegetarische Variante war:

Mammole Artichoke, Confit Egg Yolk, Celeriac, 25yo Balsamico Tradizionale

Zum Nachtisch bekamen wir “Gianduja Chocolate, Hazelnut Gelato, Expresso and Marsala”, eine Art Nutella-Tiramisu. Und zum Abschluss folgte dann noch ein weiterer “Gruß aus der Küche” mit einigen kleinen süßen Leckereien. Während des Essens hatten wir übrigens hervorragenden Wein und den letzten “Gang” nahmen wir dann auch auf der Terrasse des Auras ein und tranken dazu die letzten Gläser Wein, denn der Regen hatte inzwischen aufgehört.

Dort auf der Terrasse sitzend, dachten wir, dass dieser wunderschöne Abend den zehnwöchigen Lockdown irgendwie ein bisschen entschädigte. Denn wir fühlten uns wirklich im wahrsten Sinne des Wortes wie befreit.

Singapurs Skyline: Das Mandarin Oriental (mit dem Herz), der Singapore Flyer (Riesenrad), die Oper (Gold), das ArtScience Museum (Lotusblume), das Marina Bay Sands und der Singapore River.

Zum krönenden Abschluss gab es noch einen Hibiki 12, der es auf wunderbare Weise in das Restaurant geschafft hatten (Hibiki 12 wird nicht mehr produziert und ist extrem selten und entsprechend teuer). Ein extrem besonderes Getränk also, zum Abschluss eines besonderen Abends.

Hibiki 12: Ziemlich besonders.

Hibiki 12: Ziemlich besonders.

Sonntag

Auch der Sonntag begann mit Regen (normalerweise regnet es nicht so viel in Singapur!) und wir verbrachten den Vormittag zuhause. Gegen Nachmittag, als es aufklarte, liefen Daniel und ich zur Orchard Road, der Shopping-Meile von Singapur. Auch hier waren die Geschäfte die letzten zehn Wochen geschlossen gewesen und da man, wenn möglich, auch in seiner unmittelbaren Nachbarschaft bleiben sollte, waren wir seit Ewigkeiten nicht dort gewesen.

Orchard Road an einem Sonntag.

Orchard Road war brechend voll und das ständige Ein- und Auschecken an allen möglichen Kontrollpunkten und Eingängen tat sein Übriges, weshalb das Shopping extrem nervenaufreibend war (Daniel brauchte aber ganz dringend neue Schuhe und Hosen).

So voll haben wir Orchard Road beinahe noch nie erlebt.

Am Abend waren wir mit unserem Freund Dario für ein paar Drinks im “Don Ho” verabredet. Das Wetter am Sonntagabend war extrem mild und angenehm, beinahe “kühl” und es war wirklich schön, draußen zu sitzen und frische Luft atmen zu können. Nach einem kurzen Abstecher bei Shake Shack liefen Daniel und ich dann von Outram Park nach Hause und freuten uns sehr, dass wir ein fantastisches Wochenende in Freiheit hinter uns hatten.


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