Im goldenen Käfig
Singapur hat gestern das Ende des Circuit Breakers ab Juni erklärt – nur, um gleichzeitig die Maßnahmen der letzten zwei Monate auf unbestimmte Zeit (aber mindestens bis Juli) zu verlängern. Wir müssen also weiterhin zu Hause bleiben. Dürfen nur für lebensnotwendige Erledigungen raus und dann auch immer nur mit Mundschutz. Kontaktverbot besteht nach wie vor vor; allerdings können Großeltern und Eltern jetzt limitiert besucht werden. Für uns bleibt also alles beim alten.
Wir sind mittlerweile sieben Monate in Singapur. Davon haben wir derweil über ein Drittel zu Hause verbracht. Zieht man die Umzugsphase ab, dann ist genau genommen unsere gesamte Zeit bisher betroffen. Wobei wir im Januar und Februar noch reisen konnten. Es gab aber auch damals schon die ein oder andere Maßnahme, mit der versucht wurde, die Pandemie aufzuhalten, oder gar einzudämmen. Diese Maßnahmen waren für uns ungewohnt. Wir kannten sie schlichtweg nicht aus der Heimat.
Seit Ende März heißt es aber auch bei uns: #StayHome. Teilweise durch Gesetze fundiert, dürfen wir seit dem unsere Wohnung von Innen erkunden. Eine Wohnung, bei der wir unfassbar erleichtert sind, auf unser Bauchgefühl gehört zu haben. Denn bei Wohnungsbesichtigungen wurde uns von einer großen Wohnfläche, einem Balkon und teilweise sogar von einem Herd abgeraten. “Das braucht ihr alles nicht”, sagten die Agents. Man würde ja sowieso immer entweder verreist sein, oder eben unterwegs etwas essen. In Singapur kocht niemand. Man wird bekocht, oder man bestellt sich eben etwas.
Im goldenen Käfig
Von unserem Balkon aus schauen wir auf den großen Pool eines benachbarten Condos. Etwa 2500 Menschen wohnen dort in drei hohen Türmen. Das sind in der Regel Expats, die für vergleichsweise hohe Summen Wohnungen in zentraler Lage mit all ihren Vorzügen anmieten. Riesige Gemeinschaftsflächen, Tennisplätze, Pools. Je nach Größe der Anlage gibt es mitunter auch Veranstaltungsräume, Yogadecks, manchmal ganze Weinkühlhallen. Zur Zeit sind diese Einrichtungen aber gesperrt. Man soll eben zuhause bleiben und dieses “Zuhause” umfasst offensichtlich nicht die Gemeinschaftsanlagen. Die viel umworbenen Vorzüge verlieren somit an Nutzung, und die Wohnung damit ihren Wert. Ich frage mich, was die Leute in ihren vier Wänden so treiben, jetzt, da sie nicht arbeiten können und ihre Kinder nicht in die Schule dürfen. Bananenbrot backen wohl eher nicht; ein richtiger Backofen ist in Singapur sehr selten.
Man muss sich also neue Routinen angewöhnen, stellt sich ungewohnten Alltagssituationen und Herausforderungen. Man holt sich beim Restaurant um die Ecke Pizza, denn manchmal hat man eben auch mal keine Lust auf’s Abwaschen. Außerdem möchte man den Lieblingsitaliener in diesen schwierigen Zeiten unterstützen. Gegessen wird aber zuhause. Die Wartezeit vorm Lokal ist von Hoffnung geprägt. Möglicherweise läuft einem ja eine bekannte Person über den Weg. Ein Nachbar, vielleicht sogar ein Freund. Mal ein anderes Gesicht zu sehen, als das eigene, das wäre schön. Vielleicht kann man sogar ein Lächeln durch die Maske vermuten.
Familie haben die meisten Expats hier nicht. Die wurden zurückgelassen in der Heimat. Vielleicht ist zurückgelassen das falsche Wort, denn sicher waren die Bedingungen wenig unbeschwert, aber dennoch. Man ist hier ohne Familie. Eltern, Kinder, Geschwister. Teilweise sind selbst die Ehepartner in der Heimat. Manche sitzen im Ausland fest, kommen aktuell nicht über die Grenze. Andere haben einen Job, tragen Verantwortung, kommen nicht weg. Sie kämen aber ohnehin aktuell nicht ins Land, die Grenzen sind ja zu. Man vermisst sich. Man hat Angst um seine Lieben, fragt sich, wann man sich das nächste mal sehen kann. Die Distanz macht die Gefühlslage nicht besser. Denn die potenzielle Möglichkeit, im Notfall mal eben die Eltern besuchen zu können, besteht eben nicht. Die sind nämlich 10.000 Kilometer entfernt.
Ein Auto wäre schön. Nie hat ein Auto mehr Freiheit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bedeutet. Auch wenn man nicht weit kommt, in einem Inselstaat mit geschlossenen Grenzen in alle Richtungen. Ein Fahrrad würde es fürs erste vielleicht auch tun und wenn man es ganz genau nimmt, dann kann man die 22 Kilometer bis zur Staatsgrenze sogar laufen. Da ist dann aber Schluss.
Man spricht über die Expats aus Robertson Quay. Die “feiern eine Party vorm Italiener”, trinken dort mit Freunden, nutzen die Situation aus, während alle anderen sich an die Regeln halten. Das trifft auf viel Unverständnis von Seiten der restlichen Bevölkerung. Die “weißen, reichen” Expats, die sich nicht an die Regeln halten, seien der Grund für verlängerte Maßnahmen, meinen manche.
Ich habe das Wort “reich” noch nie greifen können. Wer definiert den Wert von Reichtum und wie wird der gemessen? Für viele bedeutet Reichtum vor allem “viel Geld”. Man meint damit den Lebensstandard, einen gewissen Wohlstand, Besitz. Aber was nützen einem die weiterlaufenden Anlagen, wenn man sie nicht betreten darf? Was bringt einem viel Geld, wenn man es nicht ausgeben kann? Und was bezweckt die luxuriöse Wohnung, wenn sie am Ende doch nichts anderes darstellt, als die physische Begrenzung des eigenen Lebensraums. Ich denke, dass Reichtum mehr bedeutet, als finanzieller Wohlstand. Reichtum bedeutet Freiheit. Seine Entscheidungen selbst und unabhängig treffen zu können.
In Singapur ist gerade niemand reich. Auch nicht die „weißen Expats” aus Robertson Quay.
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“Durchhalten”, sagen die einen zu Hause. “Wir mussten da auch durch”, die anderen. “Wodurch denn”, fragen wir uns? Denn wo ein “durch” ist, da wird ein Ziel suggeriert. Gewissermaßen das Ende eines langen dunklen Tunnels. Nur wissen wir eben nicht, was uns am Ende des Tunnels erwartet. Sicher war es ursprünglich unser Traum und gleichwohl unser Ziel, ins Ausland zu gehen. Wir wollen viel erleben, reisen, die Welt sehen. Dazu gehört auch, andere Kulturen kennenzulernen, sich in einer fremden Welt einzufinden. Schwierige Zeiten auch einmal durchzustehen. Und das machen wir gerade. Sehr intensiv. Glaubt mir. Aber von Zeit zu Zeit, da frage ich mich schon, was uns am Ende des Tunnels erwartet. Und ob es das wert ist.
2 Comments
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Verena
Das ist ein guter Rat, wir nehmen ihn uns zu Herzen. Du hast Recht, manchmal weiß man erst im Nachhinein, dass eine Entscheidung "die falsche" war. Aber wenn man es ganz genau nimmt, gibt es gar keine falschen Entscheidungen, die Konsequenzen sind nur andere… Und mit denen muss man sich dann eben arrangieren..
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Eva
Das weiß man vorher nie! Jede Entscheidung im Leben kann sich als Fehlentscheidung/Fehlinvestition erweisen, es kommt immer auf die Bedingungen an, die dann folgen…
Manche Entscheidungen mit all ihren Folgen erweisen sich wiederum als Glückstreffer, auch wenn sie nicht nur weiß zu sehen sind…
Hinterher kann man eine Liste mit Argumenten sammeln und sich dann – nur für diesen Moment – im Rückblick entscheiden…