Andere Länder, andere Sitten

Wir verfolgen intensiv, wie in Europa das Leben so langsam aber sicher wieder seinen Gang eingeht. Geschäfte öffnen, Restaurants und Bars laden zum gemeinsamen Essen unter Freunden ein. Das Wetter wird immer besser und motiviert, viel Zeit draußen zu verbringen. Gerade in Berlin werden viele kreative Ideen umgesetzt, die das Leben so angenehm wie möglich machen und schöne Aussichten auf das “New Normal” geben. So konnten wir die letzten Wochenenden über Instagram mitverfolgen, wie Freunde und Familie sich Kanus und Boote am Neuen See in Tiergarten mieteten und an neu eingeführten To-Go Stationen Drinks wie Aperol Spritz oder Bier kaufen konnten. So sieht das New Normal in Deutschland also aus.

Wir in Singapur dagegen sitzen nach wie vor fest. Das nervt. Da hilft es auch nichts, wenn aus Deutschland motivierende Aufbauversuche kommen. Sprüche wie “wir mussten da auch durch, es kommen bessere Zeiten” machen kaum Mut, denn man kann die Quarantänemaßnahmen der verschiedenen Ländern absolut nicht vergleichen, weder in ihrer Heftigkeit, noch in ihrer zeitlichen Abfolge und Dauer. Deutschland geht anders einfach anders mit dem Virus um als Singapur.

Die Rolle der Nachrichten

Spätestens seit der Corona-Pandemie habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich umfassend zu informieren. Klar, Instagram-Bilder sollten da sowieso nicht ausreichen, aber ich kann mich genauso wenig auf die lokalen Nachrichten alleine verlassen. Denn auch hier wird wieder deutlich: Auch die verschiedenen Medien kommunizieren anders und der Unterschied zwischen den deutschen Nachrichten und derer aus Singapur könnte nicht offensichtlicher sein.

Singapur ist jetzt seit 63 Tagen im Lockdown. Anders als in Deutschland wird in Singapur leider nicht klar und transparent kommuniziert, mit welchen Maßnahmen und unter welchen Bedingungen die Wirtschaft wieder geöffnet werden soll (auch wenn das gerne so verkauft wird). Wir tappen also im Dunkeln, wissen nicht, wann es hier weitergeht, werden aber immer und immer wieder daran erinnert, dass das Virus nach wie vor gefährlich und sehr präsent ist. Das macht kaum Mut. Aber das nützt nichts, denn wir müssen lernen, der Regierung in ihrem Weg zu vertrauen (auch wenn wir ihn nicht kennen). Das ist gar nicht so einfach, denn immerhin leben wir erst etwas über ein halbes Jahr hier, haben unser bisheriges Leben in einem völlig anderem System verbracht und sind nicht nur eine andere Kultur gewohnt, sondern auch einen unterschiedlichen Umgang mit Krisen.

Die Sache mit den Masken

In Singapur besteht zum Beispiel seit Monaten allgemeine Maskenpflicht, was besonders bei den hier herrschenden Temperaturen echt nervt. In Deutschland wäre das undenkbar. Wir bekommen ja mit, wie der “Mund-Nase-Schutz” zwar von der Regierung für begrenzte Örtlichkeiten empfohlen bzw. vorgegeben wird, aber von der Bevölkerung nur schwer akzeptiert und mitunter sogar belächelt wird. Masken sind eben auch nicht in der deutschen Kultur verankert. Anders ist es in Asien. Japaner zum Beispiel sind dafür bekannt, ihren Mundschutz immer parat zu haben – und zwar, um andere vor Infektionen zu schützen. Es gehört also vor allem zum guten Ton, zum respektvollen gesellschaftlichen Miteinander, eine Maske zu tragen. Gleichwohl werden die Europäer jetzt für ihren verantwortungslosen, unmaskierten Individualismus verpönt. Man handle unmoralisch und unsolidarisch. Als gebürtige Deutsche fühle ich mich dabei ganz ehrlich ein bisschen zwischen den Stühlen, muss mich entscheiden zwischen meinen angeborenen/anerzogenen Ideologien und denen der Gesellschaft, in der ich mich befinde. In Asien gehören Masken jedenfalls dazu. Und das erst Recht in einer weltweiten Pandemie. Damit muss ich mich wohl abfinden und es akzeptieren, ob ich will, oder nicht.

Andere Länder, andere Sitten

Am Ende ist es jedoch so: Wir leben jetzt im Ausland. Und das beinhaltet auch, dass Dinge hier anders gelebt und gehandhabt werden als in unserem Heimatland. Aber anders heißt nicht besser oder schlechter, sondern eben einfach anders. Trotzdem haben die Maßnahmen hier genauso ihre Berechtigung, wie jene in Deutschland. Sie haben genauso ihren kulturellen Ursprung. Und wir müssen lernen, das zu akzeptieren und damit zu leben. Und das obwohl es uns aktuell ganz besonders schwer fällt, die Situation zu verstehen, Informationen richtig zu deuten und entsprechende Schlüsse daraus zu ziehen. Einfach, weil wir es bislang noch gar nicht richtig einordnen können. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir nunmal den Schritt gewagt haben und ans andere Ende der Welt gezogen sind. Also befinden wir uns in einer völlig neuen Umgebung. Dass das mit gewissen Herausforderungen, genauso wie der Anpassung an eine andere Kultur und Gesellschaft einhergehen würde, das wussten wir und darauf haben wir uns ja auch eingelassen. Dass es so kommen würde, hätten wir aber nicht ahnen können. Es bleibt also eine Gradwanderung zwischen dem Anpassen und dem Aufgeben von Idealen.

Das Gute ist, dass ich weiß, dass ich theoretisch jederzeit zurück nach Deutschland gehen könnte. Das ist auch ein Privileg, das man sich immer wieder vor Augen halten muss. Denn wenn alle Stricke reißen, oder es mir zu viel wird, dann kann ich immer in meine alte Welt. Solange schau ich mir das Ganze an und versuche, auch diese merkwürdige und äußerst schwierige Situation als wertvolle Erfahrung zu erleben und irgendwie zu schätzen zu wissen. Auch wenn es echt schwerfällt.

Aber, wie ich hier gelernt habe, ist das englische Pendant zu “Andere Länder, andere Sitten”: You adapt or you die. Sterben wollte ich noch nicht, also muss ich mich wohl anpassen 😉


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