Wie war die erste Woche in Phase 2? Ein paar Gedanken zum #NewNormal in Singapur
Seit exakt einer Woche befinden wir uns nun in Phase 2 der schrittweisen Wiedereröffnung der Wirtschaft in Singapur. Zeit, Revue passieren zu lassen über die erste Woche in der “neugewonnenen Freiheit”.
Der erste Tag in Phase 2 begann eigentlich ganz unspektakulär. Es war ein Freitag und Daniel fuhr wie jeden Tag morgens zur Arbeit. Auf dem Fußweg zur Bahn schrieb er mir aber völlig begeistert, dass ich unbedingt rausgehen sollte. Das Wetter sei herrlich und die Cafés voller Menschen. Das hatten wir so immerhin seit Monaten nicht gesehen. Unser sonst sehr belebtes Viertel war während des Lockdowns wie ausgestorben gewesen, vor allem morgens. Wie wir das erste Wochenende verbracht haben, habe ich in meinem letzten Beitrag ja bereits ausgiebig geschildert.
Jetzt, nach einer Woche, kann ich schon ein bisschen mehr darüber erzählen, wie sich das #NewNormal in Singapur anfühlt, was wir unternommen haben und wo wir noch eingeschränkt sind oder uns so fühlen.
Erstmal ein bisschen Chit chat: Das Wetter
Das Wetter hat sich in letzter Zeit deutlich verändert. Während wir bisher den Januar als besonders angenehm empfunden haben und es im März, April und auch im Mai wirklich brechend heiß war, sind die Temperaturen seit Anfang Juni deutlich heruntergegangen. Die Luft ist feuchter, aber auch angenehmer. Teilweise hatten wir in den letzten Wochen tagsüber “nur” 24 Grad, da kann man glatt mal einen Pulli anziehen. Die Singapurer sagen, das Wetter sei so nicht normal, eigentlich müsse es gerade viel wärmer sein. Andererseits beschweren sie sich auch ganzjährig über das heiße Wetter, von daher weiß man immer nicht, wie man das zu nehmen hat. Ich kann mich auf jeden Fall noch gut an die Temperaturen während unseres Pre-Move-Visits im Juli 2019 erinnern und auch da war es angenehm und ähnlich wie jetzt.
Mit den kühleren Temperaturen kam aber leider auch vermehrter Niederschlag, der uns die erste Woche in Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes verregnet hat. Bis auf einen Tag wurden wir ausschließlich jeden Tag von dunkelgrauem Himmel und Starkregen geweckt. Teilweise wurden ganze Straßenabschnitte überflutet. Da bleibt man natürlich gerne freiwillig drin.
Der Pool ist wieder geöffnet und darf benutzt werden – Das urlaubsfeeling bleibt aber aus
Der Pool, den wir während des Lockdowns und vor allem während besonders heißen Tagen schmerzlich vermisst haben, hat nun wieder offen. Auf Grund des Regens und der kühleren Temperaturen benötigen wir ihn aber aktuell sowieso nicht so dringend wie vorher. Außerdem ist mir die “ordnungsgemäße” Benutzung ehrlich gesagt ein bisschen unklar, denn es besteht weiterhin die allgemein gültige Maskenpflicht “außerhalb der eigenen Residenz”. Und ob der Pool und die Gemeinschaftsflächen da nun zu zählen, weiß ich inzwischen schon gar nicht mehr. Wir sehen an unserem Nachbarpool viele, die keine Maske am Pool tragen und beim Schwimmen sowieso nicht. Andererseits hat mir ein Nachbar in unserem Condo erzählt, dass er von anderen Nachbarn wegen eines Vergehens angeschwärzt worden wäre und er es deshalb vorziehe, mit Maske am Pool zu liegen. Sicher ist sicher!
Denunzieren gehört zum guten Ton
Anschwärzen gehört hier zum guten Ton. Es gibt sogar eine App, über die man inklusive Foto und Geotagging das Vergehen anderer in der Gesellschaft bei der Regierung ganz unkompliziert anzeigen kann. Und als Belohnung gibt es Gutscheine von McDonalds. Während des Circuit Breakers gab es einen Vorfall, bei dem sieben Expats, die in unserer direkten Nachbarschaft wohnen, zusammen am Fluss spazieren waren und deshalb von anderen Passanten angezeigt wurden. Es bestand nämlich vollständiges Kontaktverbot und zeitweise durfte man nicht mal mit Personen aus dem gleichen Haushalt auf die Straße. Insofern war das schon ein klarer Regelverstoß durch den die Expats jetzt ihre Konsequenzen zu spüren kommen. Heute würde verkündigt, dass alle sehr hohe Geldstrafen zahlen müssen und ihre Arbeitserlaubnis permanent verloren haben und entsprechend sofort ausreisen müssen. Singapur wird nicht umsonst als “Fine City” bezeichnet und dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass das auch ernst zunehmen ist.
Maskenpflicht
Wobei mir persönlich die unzähligen Regeln und insbesondere die Maskenpflicht ganz schön zu schaffen machen, ganz offen gesagt. Natürlich halte ich mich dennoch dran, gehe lieber einmal weniger raus, oder prüfe die Maske einmal mehr. Und ich verstehe ja auch den Sinn und Zweck und die Wichtigkeit der Masken im Kampf gegen die Pandemie. Trotzdem, man hat hier halt gar keine Wahl, als sich an die Regeln zu halten, und das widerspricht manchmal meinem Freigeist. Und auch wenn ich die Masken an öffentlichen und vor allem vollen Plätzen selbstverständlich trage, finde ich sie an anderen Orten manchmal etwas kontraproduktiv. So zum Beispiel am Pool. Wenn ich dort alleine liege, frage ich mich, wovor die Maske genau schützen soll und ob es nicht eher unhygienisch oder gar gesundheitsbedenklich ist, bei hohen Temperaturen ein enges Plastikquadrat vor Mund und Nase zu tragen. Ähnlich ist es, wenn ich mich abends alleine im Park bewege. Teilweise begegne ich auf den sieben Kilometern nicht mal einer Hand voll Menschen. Ich frage mich, ob das gesund ist, denn auch Sauerstoff ist für uns wichtig, und den bekommen wir aktuell eben nur “durch eine Maske” gefiltert. Dass die Masken während der Hitze widerlich im Gesicht kleben und bestimmt ein schöner Nährboden für Keime und Bakterien sind, kommt da natürlich noch dazu. Ganz ehrlich, wenn ich alleine durch das Viertel laufe, und kaum jemandem begegne, mir die Maske aber am Kinn klebt, dann fällt es mir schon schwer, den Grund für die Pflicht zu verstehen. Da wird es auch nicht besser, wenn ich bei Instagram in verschiedensten Instagram-Stories Freunde aber auch Bekannte in anderen Ländern (insbesondere Deutschland, USA) sehe, die zu Tausenden demonstrieren oder private Festivals abhalten – ohne Maske. Ich hoffe inständig, dass das keine Auswirkungen auf die Pandemie-Entwicklungen hat. Wenn daraus allerdings keine Konsequenzen folgen, dann frag ich mich einmal mehr, wozu das ständige Maskentragen an unbelebten Orten gut sein soll.
Cafés & Restaurants sind wieder geöffnet
Dass man die Maske in genau einer Ausnahme ablegen darf, nämlich beim Essen und Trinken, führt natürlich zu einem verstärkten Aufenthalt in Cafés und Restaurants. Leider hat das Wetter diese Woche wie gesagt nicht so mitgespielt, aber Daniel und ich haben – zumindest zu Beginn – jede Sekunde schönes Wetter ausgenutzt, um uns draußen aufzuhalten. Ich frage mich, ob das eine bewusste Maßnahme ist, um den Umsatz in der stark angegriffenen Gastronomie anzukurbeln? Einige unserer Stamm-Lokale haben auf jeden Fall die Preise etwas angehoben (Der Margarita bei Super Loco kostet nach dem Lockdown in der Happy Hour nun 11 SGD und nicht mehr 10 SGD). Entsprechend geht das ständige Verweilen im Restaurant natürlich auch ins Geld, weshalb wir gegen Ende der Woche zurückhaltender wurden und auch wieder – wie sooft im Lockdown – frisches Brot gebacken und zuhause gegessen haben. Irgendwie hat man da jetzt auch schon so seine Routine gefunden…
Die gewohnheit des alleinseins
Das mit der Routine geht glaube ich nicht nur uns so, denn auch wenn wir es kaum erwarten konnten, unsere Freunde nach dem Lockdown wiederzusehen, haben sich die Treffen doch erstaunlich im Rahmen gehalten. Wir haben das Gefühl, dass viele aktuell noch unsicher sind, es nicht überstürzen wollen und sich vielleicht auch ans #StayHome gewöhnt haben. Ich selbst habe definitiv einen sozialen Knacks erlitten. Eigentlich bin ich total kommunikativ und gerne unter Leuten, allerdings habe ich mich in der ersten Woche in “Freiheit” gleich zweimal (!) dabei ertappt, wie ich darüber nachgedacht habe, eine Verabredung wahrzunehmen – eine habe ich tatsächlich sogar abgesagt (wegen des schlechten Wetters). Das ist extrem untypisch für mich und ich hoffe, dass sich das bald wieder legt, oder zumindest etwas ausbalanciert. Denn wir sind ja nicht nach Singapur zu kommen, um in unserer Wohnung zu bleiben, sondern wollten im Gegenteil viele Kontakte haben, um andere Kulturen kennenzulernen und internationale Freundschaften zu pflegen.
Wo ist es eigentlich sicher?
Neben der Gewohnheit des Alleinseins gibt es aber auch noch einen anderen Punkt, der das soziale Leben erschwert: Das Corona-Virus. Denn nach wie vor ist dieses unter uns, auch wenn die Fälle in der Community in Singapur eigentlich nie besorgniserregend hoch waren (Wir sprechen von ca. 1-10 täglichen neuen Fällen in den letzten drei Monaten). Eine Bedingung der Wiedereröffnung der Wirtschaft war aber auch das Contact-Tracing, das sich hier in den letzten Wochen extrem verstärkt hat. Neben der App, die sich ca. 20% der Singapurer heruntergeladen haben, soll es demnächst auch einen Token geben, den jeder bei sich tragen muss. Zusätzlich wird man an jedem (!) Ein- und Ausgang dazu aufgefordert, seine Personaldaten einzulesen. Das funktioniert – typisch “Singapurer Effizienz” über SafeEntry QR-Codes, die man mit seinem Handy einscannt, um danach ein Formular mit seinen Kontaktinformationen und seiner ID auszufüllen. Danach wird einem wahlweise Fieber an der Stirn abgelesen, oder man läuft durch eine Wärmebildkamera.
Das ist in der Praxis echt zeitaufwendig, denn die SafeEntry Eingänge sind überall und teilweise nur wenige Meter voneinander entfernt. Als wir am Sonntag an der Orchard Road waren, habe ich am Abend auf meinem Handy an die 30 Formulare gezählt, über die ich mich einwählen musste. Die ausdauernde Batterie des Smartphones wird auch wichtiger denn je, denn wehe dem, der ohne Akku in eine Mall möchte. Wenn wir einkaufen gehen, müssen wir uns in jedem Eingang erneut einchecken. Der Sinn hinter den vielen Kontrollpunkten ist offensichtlich und er erfüllt auch seinen Zweck. Gleichzeitig erhöht sich mit jedem Einchecken die Chance, mit einem Infizierten in Kontakt gekommen zu sein, was natürlich die Lust daran vermindert. Man überlegt sich auf jeden Fall zwei Mal, ob man gerade wirklich in den Supermarkt muss, oder ob man den Besuch noch hinauszögern bzw. mit einem anderen Einkauf verbinden kann. Und ähnlich verhält es sich auch bei Restaurantbesuchen oder spontanen Shoppingtrips. Ich für meinen Teil, bevorzuge es einmal mehr, online zu bestellen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Maßnahmen und die strengen Regeln langfristig zum Erfolg führen. Die Singapurer Regierung hat im übrigen diese Woche Wahlen angekündigt. Wer bisher intensiv die Nachrichten verfolgt hat, konnte dies möglicherweise schon ahnen. Bis zu den Wahlen erwarte ich persönlich deshalb kaum weitere Lockerungen, aber auch keinen Anstieg der Fallzahlen. Ob die aktuelle Strategie Erfolg hatte, wird sich danach zeigen. Ich hoffe sehr, dass die starken Einschränkungen über lange Sicht einen positiven Effekt auf uns haben und wir vielleicht einige Dinge schneller als erwartet wieder machen können. Ganz oben steht natürlich das Reisen auf unserer Liste, aber das ist ein anderes Thema. Bis dahin versuchen wir uns an das #NewNormal in Singapur zu gewöhnen und das Leben hier weitestgehend zu genießen – Wenn auch eingeschränkt.
Was wir sonst in Singapur unternehmen, könnt ihr übrigens hier nachverfolgen.
Wie geht es euch? Erzählt mir doch mal, wie ihr die ersten Tage in Phase 2 empfunden und verbracht habt und wie es euch mit dem #NewNormal geht. Auch der Vergleich zu Deutschland beschäftigt mich weiterhin. Fühlt man sich dort ähnlich, wie wir hier, oder verhält sich das Leben eigentlich wieder so normal, wie es den Anschein macht?