Dürfen wir uns überhaupt beschweren?

Ich würde von mir behaupten, dass ich grundsätzlich ein fröhlicher Mensch bin und in jeglicher Situation versuche, das Positive zu sehen und zu schätzen. Momentan fällt mir das aber echt schwer.

Wir sind ins Ausland gezogen mit dem Ziel, die Welt zu erkunden. Und mit dem Wissen theoretisch jederzeit nach Deutschland fliegen zu können. Nun befinden wir alle uns in einer globalen Pandemie und wir sitzen ausgerechnet in einem Stadtstaat mit dem Beinamen “fine city” fest, der kleiner ist, als unsere Heimatstadt. Die Grenzen sind geschlossen und werden – laut aktuellen Aussagen der Regierung – dieses Jahr möglicherweise auch gar nicht mehr öffnen. Das macht die Auslandserfahrung anders, denn die gefühlte Entfernung wird dadurch um einiges größer, oder zumindest realitätsgetreuer. Und wenn man bedenkt, dass wir nicht aufgrund unserer großen Liebe zu Singapur hergekommen sind, sondern vor allem, weil das kleine Land als exzellenter Travel Hub galt, dann kann man vielleicht nachvollziehen, mit welchem inneren Kampf wir uns konfrontiert sehen. Was hält uns eigentlich hier, wenn wir nicht reisen können? Mögen wir die Stadt an sich so gerne, dass wir hier bleiben, egal was kommt?

Mir ist übrigens sehr bewusst, dass es Menschen weltweit gerade echt schlecht geht. Deshalb bin ich auch immer vorsichtig, mich zu beschweren. Wahrscheinlich weiß ich meine aktuelle Situation sogar mehr denn je zu schätzen, denn ich habe ja den direkten Vergleich zu Deutschland. Außerdem lesen wir hier vor allem internationale Zeitungen und bekommen dadurch mit, was anderorts passiert, insbesondere weil das Land, in dem wir uns befinden, vieles davon abhängig macht. Zudem sind wir in Kontakt mit Menschen aus der ganzen Welt, mit denen wir uns über die Situation in ihrem jeweiligen Heimatland austauschen. Da werden die Unterschiede schon sehr deutlich. Eine Freundin, die aus Peru kommt, hat mir zum Beispiel erzählt, dass die Gesellschaft dort normalerweise “von der Hand in den Mund lebt”. Jetzt, während der Ausgangssperren und Lockdowns, können die Menschen nicht arbeiten, was zwangsläufig dazu führt, dass sie kein Geld für Essen haben. Für die Leute, so erklärte sie mir, bedeutet damit jeder weitere Tag im Lockdown ein Tag des Hungerns.

Wenn man solche Geschichten hört, dann fühlt man sich beinahe schlecht, wenn man sich beschwert, oder man darüber nachdenkt, wann man das nächste Mal reisen darf. Denn ganz ehrlich: Uns hätte es wirklich schlechter treffen können. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt mit einem ausgezeichneten Gesundheitssystem und unsere größte Sorge beim Lebensmitteleinkaufen sind die hohen Preise für Weißwein. An Hungern ist hier nicht zu denken, im Gegenteil. Im Vergleich sind wir also in einer sehr privilegierten Situation und das ist uns auch bewusst. Andererseits sind wir hier hergekommen, um zu reisen und haben uns eben genau das auch hart erarbeitet. Und es fühlt sich aktuell nicht richtig an hier zu sein, egal wie privilegiert die Situation auf andere auch wirken mag.

Ich bin grundsätzlich niemand, der gerne vergleicht. Deshalb ist mir vielleicht die deutsche Neidkultur immer besonders sauer aufgestoßen. Meiner Meinung nach, kann jeder gleichermaßen für seine eigenen Ziele und Wünsche arbeiten. Klar, allein für diese Einstellung ist ein gewisses Maß an Privilegien notwendig. Aber gleichzeitig kann ich für einige dieser Privilegien nichts und die anderen sind das Ergebnis harter Arbeit. Darf ich deshalb nicht sagen, wenn mich etwas bedrückt, nur weil es mir vermeintlich immer noch besser geht als anderen?

POST COMMENT

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert